Der Duden schreibt’s vor, wir machen’s nach? Was die neue Gender-Rechtschreibregel fürs Marketing bedeutet
Habt ihr es mitbekommen? Der Duden – das bedeutendste Nachschlagewerk wenn’s um die deutsche Rechtschreibung geht – hat eine entscheidende Anpassung vorgenommen, die das Gendern betrifft. Diese ist geradezu revolutionär. Doch worum geht es hier? Was ist so besonders daran und warum ist das fürs Marketing wichtig?
Adieu generisches Maskulinum: Das verlangt der Duden neuerdings
Möglicherweise habt ihr noch nie was davon gehört, denn tatsächlich hat der Verlag die Änderungen nicht an die allzu grosse Glocke gehängt. Dennoch ist die Anpassung ein Meilenstein hinsichtlich gendergerechter bzw. gendersensibler Sprache. Denn neu gilt: Mit maskulinen Substantiven sind nur Männer gemeint, für Frauen sind die femininen Substantive zu verwenden. Long story short: das generische Maskulinum (Frauen sind mitgemeint) ist Geschichte! Die deutsche Rechtschreibung verlangt damit also explizit die Nennung beider Geschlechter, wenn beide gemeint sind. Wer schreibt «Liebe Leser», damit aber auch Frauen meint, verstösst offiziell gegen die deutsche Rechtschreibung. Fast so, also würde man «Liebe Lesser» schreiben …
Man kann es nicht schönreden, Frauen wurden sprachlich jahrhundertelang diskriminiert, obwohl dies von der deutschen Sprache ganz und gar nicht so vorgesehen wäre. Gerade für Berufsbezeichnungen gibt es nämlich fast immer für den männlichen Begriff ein weibliches Pendant und umgekehrt (Ausnahmen bestätigen die Regel). In den meisten Fällen reicht es, ein -in hinzuzufügen, schon hat man das Kind (bzw. die Frau) beim Namen genannt. Es gibt also keinen Grund, die Frauen nicht explizit anzusprechen. Mit der neuen Rechtschreiberegel ist das nun sogar Pflicht. Dies ist schon fast ein Befreiungsschlag für die 51 % der Schweizer Bevölkerung, die bis anhin – obwohl sie offensichtlich in der Mehrheit sind – häufig einfach nur mitgemeint waren. (Dass nicht alle in der Schweiz deutscher Muttersprache sind, haben wir grosszügig ignoriert). Der generische Maskulin kann niemals korrekt sein, sofern beide Geschlechter angesprochen werden und es für beide Geschlechter eine jeweils eigene Bezeichnung gibt. Dies ist vom Duden nun also in Stein gemeisselt.
Wer dennoch am generischen Maskulinum festhält, dem oder der fehlt die Sensibilität, das Verständnis für die deutsche Sprache oder er oder sie schert sich ganz einfach nicht um Regeln.
Wie geht man nun mit der gendergerechten Sprache um?
Um die Geschlechter gleichermassen in den Texten sichtbar zu machen, gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Es geht dabei nicht darum, jeweils beide Geschlechter explizit zu nennen, sondern es können auch neutrale Formen wie «Mitarbeitende» benutzt werden oder aber man wechselt zwischen weiblich und männlich: «Fragen Sie Ihre Ärztin oder Ihren Apotheker». Immer häufiger trifft man mittlerweile den Gender-Stern oder den Gender-Doppelpunkt an. Beides sind gute Möglichkeiten, um mit nur einem Wort beide Geschlechter zu benennen, bzw. werden damit auch nichtbinäre Geschlechteridentitäten berücksichtigt. Für welche Schreibweise man sich entscheidet, ist individuell, allerdings kann der Doppelpunkt maschinell besser verarbeitet werden, eignet sich also für Online-Texte.
Es mag noch ungewohnt sein, Texte zu lesen, in denen es von Sternchen, Doppelpunkten oder männlichen und weiblichen Bezeichnungen wimmelt. Dafür, dass diese den Lesefluss mindert, gibt es allerdings keine Beweise. Und irgendwann sind geschlechtsneutrale Bezeichnungen so normal, dass sie uns gar nicht mehr auffallen. Die Sprache verändert sich mit der Anwendung, das war schon immer so und das wird immer so bleiben. Oder wie häufig stolpert ihr noch über Anglizismen wie Manager, Job, Smartphone – oder Gender?
Und wie gendert man nun in der Werbung?
Wir haben es in einem früheren Blogpost bereits thematisiert, in der Werbung ist es nicht immer ganz einfach, der gendersensiblen Sprache gerecht zu werden. Doch gilt es gerade in der Werbung vorsichtig mit der Sprache und ihren Eigenheiten zu agieren. Grammatikalischer und/oder orthographischer Wildwuchs macht sich nämlich ganz und gar nicht gut. Zudem ist es tatsächlich so, dass es zunehmend Frauen gibt – vor allem junge – die sich nicht angesprochen fühlen, wenn sie nicht benannt werden. Da schiesst man mit einer Kampagne je nach dem heftig am Ziel vorbei.
Liebe Kunden, warten Sie bitte draussen. Seid bitte nicht verärgert, wenn die Kundinnen trotzdem in euren Laden trampen, ihr habt sie schliesslich nicht zum draussen Warten aufgefordert.
Marketing ist immer auch Kommunikation, man übermittelt damit ja eine Botschaft und will die Zielpersonen zu einer Aktion bewegen. Und deshalb tut man sich gut daran, die Sprache richtig und sinnvoll einzusetzen. Das zeugt ausserdem von Professionalität.
Folgende Tipps können helfen:
- Weil es in der Werbung gilt, kurz und knackig zu formulieren, auf die neutralen Formen (Mitarbeitende, Kundschaft etc.) zurückgreifen. Oder nehmt eine Vorreiter:innenstellung ein und nutzt den Doppelpunkt oder das Sternchen – es wird sich etablieren.
- Umgeht genderspezifische Formulierungen, nutzt dazu eine Passivkonstruktion: Bitte draussen warten oder kürzt: Bitte warten Sie draussen
- Lasst die Finger von Stereotypen und Klischees. Ausser ihr schafft es, diese so zu verwenden, dass der Humor dahinter erkennbar ist.
- Eine Zielgruppenanalyse ist sehr wichtig, wenn diese nämlich hauptsächlich aus Frauen besteht, könnt ihr die männliche Bezeichnung weglassen (und umgekehrt).
- Besonders die Generationen Y und Z sind sensibel für dieses Thema, nehmt es also ernst.
Kleine Rehabilitation fürs generische Maskulin
Wichtig zu wissen ist, dass es in diesem Blogpost fast ausschlieslich um die geschriebene Sprache geht. Es ist verständlich, wenn beim Sprechen hingegen nicht immer beide Formen genannt werden, obwohl auch hier der Stern oder Doppelpunkt Abhilfe verschaffen, indem man eine kurze Sprechpause einlegt. Nachvollziehbar ist aber, wenn man sagt «Ich muss zu einem Arzt» anstatt «Ich muss zu einem Arzt oder einer Ärztin». Zudem ist es so, dass das generische Maskulin aktuell noch zu stark verbreitet und etabliert ist, um es radikal zu eliminieren. Wenn eine Frau zu den erfolgreichsten Sportlerinnen gehört, wird sie nur mit anderen Frauen verglichen, gehört sie zu den erfolgreichsten Sportlern, sind sowohl männliche wie weibliche gemeint. Allerdings bringt genau dies ein weiteres Problem zum Vorschein: Nutzt man die weibliche Pluralform – quasi ein generisches Femininum – ist es klar, dass nur Frauen gemeint sind. Um alle zu meinen, muss man auf das Maskulinum zurückgreifen … Aus diesem Grund können wir nur eines: Abwarten und ob der Veränderungen der Sprache staunen.
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