Der Shutdown von Wikipedia: Das (definitive) Ende des freien Internets?
Wikipedia ist down, und zwar ganz bewusst. Die deutschsprachige Version der freien Enzyklopädie wird während 24 Stunden aus Protest abgeschaltet. Aus Protest deswegen, weil die freien Wikipedia-Autoren durch die geplante EU-Urheberrechtsreform Internet-Zensur und somit das Ende des freizugänglichen WWW befürchten. Doch wie ernst ist das wirklich und was bedeutet das für uns?
Wer war nochmals diese Sängerin? Wann fand dieses historische Ereignis statt? Und worum ging es nochmals in diesem Film? Diese Fragen sind in der Regel sehr rasch beantwortet, Google und Wikipedia sei Dank. Doch heute, am 21. März 2019 geht es nicht so einfach. Wer Wikipedia aufruft bekommt nur dies zu sehen:
© Screenshot Wikipedia
Was steckt hinter dem Wikipedia-Protest?
Aktuell diskutiert das EU-Parlament über eine neues Urheberrechtsgesetzt. Das ist nicht verkehrt, ist das aktuelle doch auf das Jahr 2001 datiert. Dass sich seither einiges verändert hat, muss hier kaum hervorgehoben werden. Auf Ablehnung stossen bei der Reform, die am 26. März 2019 verabschiedet werden soll, insbesondere die Artikel 11 und 13. Artikel 11 besagt etwa, dass alle Webseiten für kurze Textausschnitte aus Presseerzeugnissen Lizenzen erwerben müssten, um ein neu einzuführendes Verleger-Recht einzuhalten. Der noch stärker in der Kritik stehende Artikel 13 verlangt von Internetplattformen egal welcher Grösse, Urheberrechtsverletzungen der Userinnen und User präventiv zu unterbinden. Dabei werden sie quasi verpflichtet, sogenannte Uploadfilter zu installieren, denn manuell ist das nicht zu bewerkstelligen. Diese Filter sind allerdings fehleranfällig, weil sie nicht in jedem Fall zuverlässig erkennen können, ob es sich bei einem Upload tatsächlich um eine Urheberrechtsverletzung handelt oder nicht. Das kommt einer Zensur gleich, da dadurch diverse Inhalte gar nie veröffentlicht werden können. Davon betroffen sind Tech-Riesen wie YouTube, aber auch kleinere Internetfirmen, die künftig automatisch für die Urheberrechtsverletzungen ihrer Userinnen und User haften würden und, um dies zu umgehen, gezwungen sind, teure Filtersoftware einzukaufen. Gerade für kleine Verlage und freie Autoren wäre dies verheerend, ebenso für die Internetnutzer selbst. Diese Bestimmungen gelten nicht nur für Bild- und Videomaterial und Texte, sondern auch für kleine Zitate, die nur noch mit einer Lizenzierung veröffentlicht werden dürfen. Für Medien wie Zeitungen, Fernsehen etc. bedeutet dies massive Einschränkungen, Presse- und Meinungsfreiheit sind in Gefahr. Zudem wären auch wissenschaftliche Publikationen wesentlich betroffen.
Die Ausnahmen bestätigen die Regeln
Wikipedia selbst ist von Artikel 13 ausgenommen. Ebenso wie nicht kommerzielle Anbieter und kommerzielle Anbieter, die
- erst drei Jahre oder weniger auf dem europäischen Markt aktiv sind,
- weniger als zehn Millionen Euro Jahresumsatz generieren und
- weniger als fünf Millionen aktive Nutzer pro Monat haben.
Dennoch warnt Wikipedia vor der Reform mit den Worten: «Obwohl zumindest Wikipedia ausdrücklich von Artikel 13 der neuen Urheberrechtsrichtlinie ausgenommen ist (allerdings nicht von Artikel 11), wird das Freie Wissen selbst dann leiden, wenn Wikipedia eine Oase in der gefilterten Wüste des Internets bleibt.»
Und in der Schweiz?
Da die Schweiz bekanntermassen kein Mitglied der EU ist, ist sie entsprechend nicht verpflichtet, die Regelungen zu übernehmen. Der Bundesrat hat eine eigene Vorlage erarbeitet, die zwar ebenfalls eine Inhaltsprüfpflicht vorsieht, allerdings nur für Hosting-Provider, die die Grundlage für Urheberrechtsverletzungen schaffen. Aber auch in diesem Fall kommt die Prüfung nur zur Anwendung, wenn eine solche Verletzung gemeldet und diese im Anschluss nicht behoben wurde. Dennoch wären wohl insbesondere international tätige Firmen massiv betroffen sowie etwa Agenturen, die auf Plattformen wie YouTube, Facebook oder Google Werbung für die Kundschaft schalten.
Konsequenzen fürs Marketing
Das Online-Marketing und Social-Media-Marketing würden sich also ebenfalls stark verkomplizieren. Wird es einer Agentur künftig noch möglich sein, «uneingeschränkt» Ad-Kampagnen auf YouTube, Facebook und Co. zu schalten? Nicht unbedingt, denn auch diese Beiträge müssten wohl durch den Filter. Ob sie ihn überstehen, das lässt sich nicht voraussagen. Und was passiert mit den User-Interaktionen in den Sozialen Medien? User Generated Content wird unter diesen Bedingungen nicht wie bisher funktionieren. Auch im Bereich des Webseitenmarketings könnten sich grosse Probleme aufzeigen. Wie sieht es mit Designs, Grafiken und Illustrationen aus? Wie viel Spielraum haben etwa Screen Designer künftig noch? Dürfen Agenturen für Kunden noch Webinhalte publizieren, die nicht lizenziert sind? Letzteres scheint zwar durch das Gesetzt nicht unbedingt unmöglich, doch wie die Vorlage in der Praxis schliesslich tatsächlich umgesetzt wird, bzw. werden kann, das steht zurzeit noch in den Sternen. Was sich allerdings sagen lässt: Die neuen Bestimmungen werden Zensuren zur Folge haben. Davon betroffen sind nicht nur grosse Player, sondern auch Online-Dienstleister und insbesondere die Internetuser.
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